Unvollkommen? Gut so!

Viele Menschen haben den Anspruch perfekt zu sein: im Arbeitsleben top Leistungen bringen und sich in immer bessere Positionen bringen; Hobbys auf hohem Niveau ausführen; Familie und Haushalt perfekt unter einen Hut bringen; eine gute Mutter/ ein guter Vater sein,….die Liste kann man wahrscheinlich unendlich fortführen.
Perfektion erzeugt Druck
Perfekt sein zu wollen, immer das Optimum zu leisten und ja keine Chancen zu verpassen – das ist stressig. Stress erzeugt Druck und unter Druck können wir gerade nicht die Ressourcen anzapfen, die wir eigentlich zur Verfügung haben – es geht nur noch ums Überleben.
Kinder haben feine Antennen
Kinder spüren sehr schnell, ob Eltern entspannt sind und somit Ressourcen für sie frei haben oder ob sie unter Druck stehen und eigentlich nur noch im Hamsterrad funktionieren. Kinder spiegeln oft die Eltern, weil das von Geburt an ihre Art ist Sozialverhalten zu verstehen und auszuprobieren, wie es sich anfühlt, wenn man z.B. fröhlich, traurig oder wütend ist. Außerdem entsteht durch das Spiegeln ihr Selbstbild: Wie werde ich angesehen? Wie werde ich angesprochen? Bin ich willkommen oder werde ich als Last gesehen?
Gerade in Situationen, in denen man sich besondere Ruhe wünscht merkt man die feinen Antennen der Kinder: das Kind soll endlich schlafen. Man ist schon unruhig, wippt mit dem Fuß, während man neben dem Kind liegt und sich nur denkt: „Wann schläfst du jetzt endlich. Ich muss noch den Abwasch machen, überleben was wir die Tage essen, die Wäsche bügeln,…...“. Diese innere Unruhe überträgt sich auf das Kind – es kann erst recht nicht einschlafen. Eine Negativ-Spirale setzt sich in Gang.
Das gleiche ist, wenn man sich denkt, dass man nun endlich aus dem Haus muss, dass man nur einmal in Ruhe essen möchte, usw. Je höher das Ideal ist und je höher der Druck ist, den man verspürt und aufbaut, desto eher reagieren die Kinder mit Widerstand.
Mut zur Unvollkommenheit
Rudolf Dreikurs hat in seiner Ermutigungspädagogik so genannte „ermutigenden Qualitäten“ entwickelt. Eine davon ist der „Mut zur Unvollkommenheit“. Ja, es braucht in der Tat Mut, die Dinge einfach mal so sein zu lassen wie sie sind. Es darf auch mal chaotisch sein, der Tisch nicht perfekt eingedeckt, das Essen 10 Minuten zu spät am Tisch, usw.
Es geht darum es annehmen zu können und zu akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Man hat sich vielleicht Mühe gegeben, man wollte unbedingt etwas erreichen – und es wurde halt einmal nicht so, wie man es sich ideal vorgestellt hätte.
Unvollkommenheit als Entwicklungsmotor
Wenn wir das Gefühl haben, dass etwas nicht so gut gelaufen ist, so kann dieses gefühlte Defizit ein notwendiger Entwicklungsmotor sein, weil wir wollen, dass es das nächste Mal vielleicht besser läuft. Wir kommen in eine Reflexionsphase, wir denken nach, was wir eigentlich wollen, warum wir es wollen und wie wir es erreichen können. So können wir jeden Tag ein wenig an uns und unseren Vorstellungen arbeiten. Wichtig ist aber, dass man auch nach langem Nachdenken und Durchspielen von Möglichkeiten drauf kommt, dass es vielleicht gar nicht wichtig ist, dass wir dieses Ziel unbedingt erreichen. Vielleicht darf es auch einfach unvollkommen bleiben und es fühlt sich gut an.
Vorbild sein
Gelebter Mut zur Unvollkommenheit bietet unseren Kindern ein gutes Vorbild. Kinder suchen nicht nach perfekten Eltern. Für sie ist es entlastend zu sehen, dass auch den Eltern nicht alles gelingt oder sie einfach mal sagen: es ist ok, so wie es ist.
Zu hohe Ideale können die Selbstentwicklung eines Kinder nämlich auch hemmen.
War heute schon etwas nicht so, wie Sie es sich vorgestellt haben? Gut so – und nehmen Sie diese Situation einfach so an, wie sie gewesen ist. Haben Sie Mut zur Unvollkommenheit!