"Das macht er immer nur bei mir" - Verhaltensunterschiede gegenüber den Elternteilen

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"Das macht er immer nur bei mir" - Verhaltensunterschiede gegenüber den Elternteilen

Von julia am 02/05/2018 - 09:40
streit

Viele Eltern kennen das: Bei einem Elternteil zieht das Kind sich problemlos selbst an, beim anderen Elternteil fragt das Kind bei jedem Kleidungsstück um Hilfe. Bei dem einen Elternteil isst das Kind gerne, beim anderen Elternteil verschwindet es rasch vom gemeinsamen Essen. Beim einen Elternteil schläft das Kind binnen Minuten ein, beim anderen Elternteil ist es ein Drama, das sich über Stunden zieht. Die Beispiele können wahrscheinlich in jeder Familie fast unzählig weitergeführt werden....doch warum ist das so? Es handelt sich ja immer um das selbe Kind. Es verlernt nicht sich anzuziehen und das Essen wurde vielleicht auch noch immer vom selben Elternteil gekocht.

Viele Eltern nehmen das Verhalten des Kindes persönlich oder beginnen dem jeweils anderen Elternteil Vorwürfe zu machen - bei ihm würde doch alles reibungslos klappen. Außer zu Streit und schlechter Stimmung führt das jedoch zu nichts.

Bindung, Bindung und Bindung

Der Mensch ist ein soziales Wesen und kann von Geburt an zu mehr als einer Person eine tiefe Beziehung aufbauen. Dabei entwickelt sich auch die Bindung zwischen Menschen. Auch wenn ein Kind zu beiden Elternteilen eine gute und tragfähige Beziehung pflegt, so kann die Bindung doch unterschiedlich sein. In der Forschung werden 4 Bindungstypen unterschieden: sicher gebundene Kinder, unsicher-vermeidend gebundene Kinder, unsicher-ambivalent gebundene Kinder und desorganisierte/desorientierte Kinder.

Natürlich ist eine sichere Bindung vorteilhaft für ein Kind und innerhalb einer Familie anzustreben. Kinder die unsicher-ambivalent gebunden sind, können ebenfalls eine sehr liebevolle Beziehung zu ihren Eltern haben. Es hat auch immer ein wenig mit dem Charakter des Kindes und der Eltern zu tun, wie sie auf andere Menschen zugehen, was sie in ihrem Intimbereich zulassen, usw. Eltern, die selbst schlechte Beziehungserfahrungen haben, schaffen es vielleicht nicht so gut, stabiler Partner für das Kind zu sein.

Für die Entwicklung eines Kindes wirklich durchgängig negativ ist ausschließlich eine desorientierte oder desorganisierte Bindung. Das Kind weiß dann nämlich gar nicht so recht, wie es mit anderen Menschen verbunden ist, was es von wem erwarten kann, wo es aufgehoben ist, usw.

Bindungen sind auch nicht statisch. Selbst sichere Bindungen können in Krisenzeiten einmal ins Schwanken geraten und phasenweise können sich Unsicherheiten zeigen - hat Mama mich noch lieb? Wie reagiert Papa, wenn ich dies oder das mache? An einer sicheren Bindung muss somit immer auch gearbeitet werden.

Bindung und Verhalten

Was hat nun das überwiegend auftretende Bindungsmuster mit dem beobachtbaren Verhalten eines Kindes zu tun? Kinder testen unterschiedliches Sozialverhalten. Sie möchten erfahren, was passiert, wenn sie das eine oder das andere machen. Sie möchten auf diesem Weg auch ihre Eltern kennenlernen. Je sicherer sich ein Kind sein kann, dass es immer geliebt werden wird, egal was geschieht, desto eher nutzt es diesen Rahmen, um zu testen, was passiert, wenn es dieses oder jenes Verhalten zeigt. Das erklärt auch das Phänomen, dass viele Kinder neue, oder negativ besetzte Umgangsformen eher in der Familie zeigen als in Betreuungsstrukutren. Dort hören die Eltern immer vom braven angepassten Kind - zu Hause schlagen die Wellen doch öfters einmal hoch. In einer Tageseinrichtung oder Schule kann sich das Kind vielleicht einfach nicht sicher sein, dass es immer einen Platz und Akzeptanz haben wird, egal was geschieht.

Ist die Bindung sicher, so testen die Kinder mitunter auch mehr Verhaltensweisen aus, bzw. erlauben sich auch eher negativ besetzte Gefühle zu äußern.

Ist die Bindung eher unsicher-ambivalent, so wird das Kind über die Jahre ein sehr feines Gespür entwickeln, was es sich wann erlauben darf. Was wann akzeptiert wird. Es hat gelernt, dass die Person nicht stabil ist, man sich eigentlich nicht sicher sein kann, wie sie reagiert - für Kinder bedeutet das, dass sie sich nicht sicher sind, ob sie nicht doch irgendwann die Liebe verlieren könnten. Die Kinder sich oft übermäßig anhänglich, weil ständig ihr Bindungsverhalten aktiviert ist. Das stört oft das Neugierdeverhalten der Kinder.

Unsicher-vermeidende Kinder zeigen sich in fremden Situationen eher übermäßig "cool", es scheint sie nicht zu beeindrucken, wenn die Bezugsperson fehlt. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass ihre Wünsche eher auf Ablehnung stoßen, dass die Eltern eher Beziehungen vermeiden. Sie versuchen oftmals bei fremden Personen sichere Bindungen aufzubauen. Oftmals zeigen die Kinder sehr angepasstes Verhalten, weil sie merken, dass sie wenig Rückmeldung auf unterschiedliches Sozialverhalten bekommen. Sie arbeiten sich nicht an einer Beziehung ab, weil diese für sie eigentlich nicht besteht.

Kinder lernen zu unterscheiden

Kinder bauen unterschiedliche Beziehungen auf und zeigen unterschiedliches Bindungsverhalten. Sie lernen ihre Eltern kennen. Familie ist für Kinder vor allem auch ein Feld, um unterschiedliches Sozialverhalten zu erproben. Je sicherer sich ein Kind sein kann bedingungslos geliebt zu werden, desto eher geht es auch einmal an die jeweils persönlichen Grenzen eines Elternteils - oder darüber hinaus....

Bindung ist nicht alles

Bindung kann aber nicht alles erklären, z.B. warum es oftmals bei bestimmten Themen mit Mama oder Papa klappt oder eben nicht. Oftmals sind diese Kinder zu beiden Elternteilen überwiegend sicher gebunden. Hier geht es oftmals um innere Haltungen: Sitze ich gerne mit meinen Kindern beim Essen oder habe ich schon während dem Essen die Hausarbeit danach im Kopf? Komme ich beim Abendritual selbst zur Ruhe oder schalte ich innerlich nicht ab, weil ich eigentlich im Kopf habe, dass das Kind nun alt genug wäre alleine einzuschlafen? Ist ein Elternteil vielleicht mit einem Ablauf oder Vorstellungen nicht einverstanden?

Kinder spüren jeweilige Unsicherheiten. Ihnen fehlt dann die Orientierung und der Halt. Kann wirklich schon die Ruhezeit sein, wenn Mama noch so viel im Kopf hat? Habe ich Ruhe um zu essen oder sind wir im Stress und ich wäre besser schon fertig?

Ins Gespräch kommen

Wird innerhalb einer Familie deutlich, dass sich Verhaltensweisen einem Elternteil gegenüber "festfahren", ist es Zeit für ein Gespräch zwischen den Eltern. Was gefällt mir am Tagesablauf? Was ist mir wichtig? Was möchte ich ändern? Wie kann einem Kind mehr Halt gegeben werden?

Oftmals zeigt sich mit kleineren Umstellungen das "störende" Verhalten nicht mehr und die Beziehung kann sich vertiefen.

 

Foto: Maresa Gallauner