Alles Perfekt?! Für wen?

Ja, wir möchten immer alles richtig machen. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man sich am Ende eines Tages sagen kann: Heute ist alles gut gelaufen. Es beruhigt, wenn man sich keine Gedanken machen muss, warum man vielleicht das eine oder andere gesagt oder getan hat oder warum man vielleicht doch wieder laut geworden ist. Man fühlt sich gut, man hat die Idee eine „gute“ Mutter oder ein „guter“ Vater zu sein.
Man denkt sich auch, dass es ja für die Kinder auch am besten ist, wenn alles läuft, wenn es keinen Streit gibt, keine Konflikte und alles harmonisch ist. Natürlich erfreuen sich Kinder an einem harmonischen Umfeld und sie werden nicht gerne zurechtgewiesen oder gar angeschrien. Aber was mag wohl in ihnen vorgehen, wenn ihr Umfeld dauernd nur zufrieden und harmonisch ist, sie aber über den Tag verteilt auch wütend, enttäuscht oder traurig?
An Konflikten wachsen – Emotionen beherrschen lernen
Natürlich brauchen Kinder ein Umfeld, in dem sie geborgen aufwachsen können. Sie brauchen die Sicherheit ihren Platz zu haben und die Liebe der Eltern nicht verlieren zu können. Aber sie brauchen auch Vorbilder, wie man mit aufkommenden Impulsen und straken Gefühlen umgehen kann. Sie brauchen Ideen, wie man Konflikte konstruktiv lösen kann. Die Beziehung kann daran auch wachsen.
Sind Eltern zu perfekt, dann haben Kinder immer die Idee, dieses Ideal nie erreichen zu können. Sie fühlen sich dadurch unzulänglich und bekommen auch kein Gefühl für das Gegenüber. Sie können die Eltern (und später auch andere Menschen) schlecht einschätzen: was fühlen sie nun wirklich? Sie spüren die „darunterliegenden“ Gefühle (z.B. die Wut), aber schauen in ein lächelndes Gesicht. Kinder verwirrt so etwas. Die doppeldeutigen Botschaften machen Kinder sehr orientierungslos, wenn es um Gefühle geht.
Gut informiert sein oder Bauchgefühl?
Neben der Atmosphäre zu Hause ist ein Punkt, der oft von Eltern angesprochen wird, der Wunsch alle Entscheidungen gut informiert zu treffen, also immer die perfekte Lösung für jede Situation zu haben. Das ist nachvollziehbar und gerade wenn es um „große“ Themen geht (z.B. Schlafort/-situation), ist es nie ein Fehler sich ein wenig zu informieren und auszutauschen und dann gemeinsam mit dem Partner oder der Partnerin einen Weg zu gehen. Es ist aber nicht in jeder kleinen Situation des Alltags möglich „auszusteigen“ und dann informiert an dem Punkt wieder weiter zu machen. Man ist im Zusammenleben mit Menschen auch immer ein wenig „gezwungen“ dem Bauchgefühl zu vertrauen. Kinder können auch damit leben, wenn Entscheidungen zurück genommen werden, weil sich etwas nicht bewährt hat. Sie wollen nur Ehrlichkeit und Einblick in die Sache, also warum es plötzlich andere Grenzen gibt, usw.
Schein oder Sein?
Ein anderes Thema, das oft aufkommt ist der Wunsch Haushalt, Beruf und Erziehungsalltag perfekt organisiert unter einen Hut zu bekommen. Im Haushalt muss alles super organisiert laufen: nie steht dreckiges Geschirr herum, der Boden ist immer frisch gewischt, die Wäsche gemacht, usw. Aber das muss noch neben einer Berufstätigkeit und dem Alltag mit den Kinder funktionieren, wobei auch da der Wunsch besteht, dass alles perfekt ist: beruflich erfolgreich und zufrieden, und wie oben beschrieben eine stets harmonische Umgebung für das Kind oder die Kinder.
Das setzt viele Eltern massiv unter Druck und ich erlebe es immer wieder, dass dann oft gar nichts mehr gelingt. Man schafft zwar den Haushalt, alles glänzt, aber daneben ist wenig Zeit, um auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Die Kinder sind zufrieden und ihre Bedürfnisse befriedigt, aber man selbst hat das Gefühl im Job nur auf Sparflamme zu funktionieren, usw. In Elterngesprächen wird auch oft lange der Schein präsentiert und gewahrt - oft kommt dann erst nach und nach durch, wie belastend es ist, nach außen immer perfekt zu sein.
Perfekt sein wollen wir vor allem für uns. Es gibt uns Bestätigung und ein Gefühl unsere Aufgabe gut zu erledigen. Kinder wollen Eltern, die sie lieben und die bereit sind mit ihnen gemeinsam an der Herausforderung des Alltags zu wachsen.
Foto: Maresa Gallauner